Spiel und Ritual

Bildung und Spiel sind eng miteinander verbunden. Spiel ist eine Art Bildung und Bildung ist eine Art Spiel. Bei Kindern ist es verständlicherweise viel mehr der Fall als bei Erwachsenen.  Spiel und Bildung verbindet das ihnen zu Grunde liegende Prinzip der Wiederholung, die  durch Regeln zustande kommt. Bildung ist ein Regelwerk, genau so wie ein Spiel. Spiele unterscheiden sich nach ihrer Bildungspotenz. Ein Ritual ist ein Spiel mit der höchsten Bildungspotenz. Kultur setzt sich aus Ritualen zusammen.

Kunst ist Spiel. Ich meine nicht nur die Schauspielkunst, sondern jegliche Kunst. Kunst ist immer ein Regelwerk. Es findet seinen höchsten Ausdruck und Erfüllung in einem Ritual. Je mehr Künste an einem Ritual beteiligt sind, desto wirksamer ist es. 
Jan Assmann beschreibt dieses Prinzip in seinem Buch "Die Zauberflöte. Oper und Mysterium": 
"Ganz anders die Oper. Sie stellt ihren Kunstcharakter zur Schau und läßt über der ästhetischen Präsenz des Signifikanten das Signifikat, die Handlung, in den Hintergrund treten. Immer wieder wird die voranschreitende Handlung gleichsam aufgestaut und in Präsenz verwandelt. Etwas Ähnliches unterscheidet das rituelle vom Alltagshandeln. Das Alltagshandeln findet seinen Sinn im Zweck, so wie der Weg in angestrebtem Ziel. Beim Ritual dagegen kommt es auf das Wie der Ausführung, auf jede Geste, auf Intonation und Wortlaut an. Auch das rituelle Handeln ist zielgerichtet, aber dieses Ziel läßt sich nicht auf die eine oder die andere, sondern nur auf die genau vorgeschriebene Weise erreichen; hier gilt die Devise „Der Weg ist das Ziel“. Das Ritual ästhetisiert das Handeln und stellt gegenüber seiner zweckbezogener Zielstrebigkeit seinen Vollzug in jedem seiner Momente in den Vordergrund.“

„Das Ritual ästhetisiert das Handeln und stellt gegenüber seiner zweckbezogener Zielstrebigkeit seinen Vollzug in jedem seiner Momente in den Vordergrund.“ Das heißt, dass das Rituelle in jedem Augenblick für die Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen der Handlung und dem Handelnden sorgt. So dass die ganze Handlung sich in jedem Augenblick widerspiegelt. Mit anderen Worten, es geht um die Bewusstheit der Handlung. Damit kann man das Spiel, wo alle Vorgehensweisen vorgeschrieben sind, als Bewusstheitsübung, oder Bewusstheitsmachung der Handlung bezeichnen.

Aus der Ritualsammlung der Malschule:

Buntstifte-Ritual für Neugeborene und Kleinkinder

1.    Bei neugeborenen Kindern soll die neu gekaufte Schachtel mit 24 Buntstiften einmal am Tag aufgemacht und angeschaut werden. Ca. 1-3 Minuten und dann wieder zugemacht werden. Ab ca. 6 Monaten kann man es jeden zweiten Tag machen.
    

2.    Die Schachtel mit Buntstiften soll am gleichen Ort aufbewahrt werden. Am besten in einem Regal, aus dem es immer herausgeholt, auf den Tisch gelegt und angeschaut wird.
    

3.    Ab ca. 6-9 Monaten können die Eltern einen Strichritual durchführen, in dem sie zusammen mit dem Kind einen Strich auf einem weißen Blatt ca. 30x40 cm. von oben nach unten ziehen. Jeden Tag mit einem neuen Buntstift der Reihe nach, von links nach rechts. Abstand der Striche soll dem Abstand der Stifte in der Schachtel entsprechen. So dass beim Öffnen der Schachtel die Striche sich genau gegenüber den entsprechenden Buntstiften befinden, quasi eine Verlängerung der Stifte bilden. Nach der Beendigung des Rituals soll man auf die Stelle des bezeichneten Blattes ein neues hinlegen. Das Ritual kann so oft wie man möchte durchgeführt werden.
    

4.    Wenn das Ritual mit den Strichen bereits viele Male durchgeführt worden ist, kann man versuchen, in einer Sitzung alle 24 Striche zu machen. Zur Abwechslung kann man statt Striche Kreise ziehen. Mal mit einem großem Kreis beginnen und sich mit weiteren zur Mitte bewegen, mal vom Kleinsten beginnen und sich zum äußeren Rand bewegen.

5.    Ab dem Alter, in dem das Kind nicht mehr alles in den Mund steckt, soll die Schachtel auf dem Arbeitstisch des Kindes ihren Platz haben.

Viel Freude mit den Buntstiften!
Eure Buntstiftenexperte