Cézannes Lehre

In dem, was und wie wir unterrichten, spielt Cézannes Werk eine zentrale Rolle. Für mich war und ist Cézanne ein großer Lehrer, weil er eine Haltung und eine Herangehensweise vermittelt. Weil sein Werk gleichzeitig ein Studium der Natur und der Überlieferung ist, die sich im Prozess der Selbstfindung zu einer Einheit verbinden. Er ist kein Macher, seine Werke sind Lebewesen, die gezeugt und erzogen sind, bis sie sich zum eigenen Selbst nicht gefunden haben. Entstanden in einem Prozess, in dem das Subjekt, der Maler in seinem Gemüts- und Geisteszustand, im Duktus der Pinselbewegungen zwischen der Bildfläche und Farbpalette, und das Objekt, das Motiv selbst, in seiner Vielschichtigkeit und ständiger Wandlung, gemeinsam Ausdruck finden. Der Vorgang ähnelt einer aus den Zenkünsten bekannten Vorgehensweisen.
Paul Cézanne sprach immer über das Streben nach möglichst hohem Zusammenhang im Bild. Der Gedanke des höchstmöglichen Zusammenhangs war bei ihm mit der Idee des viel besprochenen Begriffs der „Realisation/Realisierung“ verbunden. Inhaltlich kann man Realisation mit Worten Cézannes als «die unablässige Verfolgung des einzigen Zieles» beschreiben. Am Ende kann dieses Ziel nur als Realisierung des eigenen Selbst oder, wie er ständig betont, der eigenen Empfindung verstanden werden. Das Bild liefert den Beweis dieser Realisierung und ist in gewissem Sinne selbst die Realisierung. „Zusammenhang“ und das „Einzige Ziel“ sind für Cézanne tief miteinander verknüpft. Wenn das Ziel unklar ist, wird der höchste Zusammenhang nicht bzw. nur formal möglich sein. So kann man Realisierung als Prozess der Zielklärung verstehen. Cézannes Streben nach höchstmöglichem Zusammenhang führt ihn zu einer Sichtbarkeit, in der die Bewegung und damit der Rhythmus die entscheidende Rolle spielen. Zusammenhang als Bewegungszusammenhang. Es ist das Ergebnis seinen stundenlangen Meditationen vor der Natur. Berge, Bäume, Tiere, Menschen: Alles wird in Farbe, das heißt in Lichtqualität übersetzt, um es in eine Ebene zu heben, auf der er nur mit „Bewegung“ komponieren kann. Jeder Pinselstrich ist eine rhythmische Einheit, der als Pulsschlag des Bildes wahrgenommen wird. Aus diesem Pulsschlag werden größere Bewegungseinheiten gebildet, die auch als Bäume, Menschen etc. wahrgenommen werden, die unter sich in eine noch größere singende und sinngebende Einheit einbezogen sind.